Liebe Freund*innen des Ernährungsrats!

Eigentlich dient unser Newsletter der Information über die Arbeit im Ernährungsrat. Aus gegebenem Anlass möchten wir uns in diesem Sondernewsletter aber dem Schwerpunkt Ukraine und den Auswirkungen des Kriegs auf die Ernährungssituation weltweit widmen.

Denn die Auswirkungen einer Reduktion von Getreide- und Ölsaatexporten aus Russland und der Ukraine werden nicht nur in Europa, sondern vor allem auch in Ländern des Globalen Südens spürbar sein. Leider wird aus verschiedenen Kreisen im Zusammenhang mit dieser Krisensituation ein Backroll von European Green Deal und Farm-to-Fork-Strategie zugunsten einer Intensivierung der Landwirtschaft gefordert. Das ist aus Perspektive der Ernährungssouveränität genau die falsche Antwort. Denn vielmehr zeigt uns die aktuelle Problematik, dass es genau die massiven Abhängigkeiten sowie die Anfälligkeiten globaler Lieferketten sind, die weltweit die Resilienz von Ernährungssystemen bedrohen.

In diesem Newsletter beleuchten wir die aktuellen Herausforderungen aus unterschiedlichen Perspektiven.

  1. Krieg – und Hunger
  2. Ukraine-Krieg und Ostafrika
  3. Krieg und (grüne) Politik
  4. Ein Aufruf zur Transformation des Ernährungssystems

*Anmerkung aus der Geschäftsstelle des Ernährungsrates Freiburg & Region: Als wir den Newsletter am 29. März rausgeschickt haben, war uns leider noch nicht bewusst, dass der Badische Landwirtschaftliche Hauptverband e.V.  eine Stellungnahme zu der Versorgungslage mit Lebensmitteln veröffentlicht hat. Wir bedauern, dass wir die Stellungnahme nicht im Newsletter erwähnt haben aus dem Grunde, dass wir zu dem Zeitpunkt noch nicht mit der Position des BLHVs vertraut waren. Außerdem möchten wir nun auf einem Kommentar von Padraig Elsner hinweisen, des Pressesprechers des BLHVs, dem wir inhaltlich zustimmen.

1. Krieg – und Hunger

Die Ukraine – oft auch die „Kornkammer Europas“ genannt – gehört zu den führenden Exportnationen von Weizen und Sonnenblumenöl weltweit. Was bedeutet es nun, wenn durch den Krieg weniger produziert und nur noch geringe Liefermengen exportiert werden können? Wer profitiert davon und wen trifft es am meisten? Unser Ernährungsrat-Sprecher Wolfgang Hees führt die wichtigsten Zusammenhänge auf:

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) – sowie auch andere fortschrittliche Kräfte – vertreten bereits seit Jahren die Meinung, dass nur agrarökologische Methoden die Welternährung langfristig nachhaltig sichern können. Die Umstellung eines „high-input“-System auf regenerative Landwirtschaft lässt sich aber leider nicht von heute auf morgen umsetzen.

Bereits seit Ende 2021 zeichnet sich durch einen Anstieg der Düngemittelpreise ein verringerter Düngermitteleinsatz ab, was in der Folge zu geringeren Ernteerträgen und Nahrungsmittelknappheit bzw. einer Verteuerung von Lebensmitteln führen wird. Dadurch entsteht die vorhersehbare Situation, dass sich viele Menschen ihre Nahrungsmittel nicht mehr ausreichend leisten können. Aber auch die weltweit 200 Mio. Kleinbauern und Kleinbäuerinnen mit konventioneller Subsistenzlandwirtschaft werden weniger Erträge und somit weniger Geld zur Verfügung haben.

Der momentane Krieg verschärft die sowieso schon instabile Situation zusätzlich, da zwei der weltweit größten Getreideexporteure im Krieg miteinander stehen und ihre Liefermengen erheblich reduzieren werden. Die Frühjahrsaussaat (v.a. Sommerweizen und Mais) ist schon jetzt verzögert und wird aufgrund der Zerstörungen im Krieg und steigenden Produktionskosten (insbesondere Diesel- und Saatgutpreise) vermindert sein.

Von den momentan hohen Weizenpreisen profitieren die meisten Landwirt*innen nicht. Warum? Der letztjährige Weizen ist längst verkauft und die kommende Ernte – im Tausch gegen Agrarkredite für 2022 – bereits verpfändet (sog. Vertrags-/“Septemberweizen“). Die Produktionskosten sind innerhalb der letzten Monate erheblich angestiegen. Insbesondere Dünger- und Dieselpreise haben sich verdoppelt. Profitieren werden dagegen die großen Konzerne wie Cargill, Pioneer und Dreyfuss, die mit Agrarprodukten Handel treiben.

Diese Krise macht deutlich, dass die Transformation hin zu regionalen Versorgungsstrukturen essenziell für die Resilienz von Ernährungssystemen weltweit ist. Nur durch eine auf Agrarökologie und Ernährungssouveranität ausgerichtete Landwirtschafts- und Ernährungspolitik kann langfristig die Welternährung nachhaltig sichergestellt werden. HIER geht es zur Pressemitteilung der AbL.

Im Radio Dreyeckland hat Wolfgang zu diesem Thema einen spannenden Beitrag geleistet.

2. Wie der Ukraine-Krieg sich auf die Ernährung in Ostafrika auswirkt

Insbesondere ostafrikanische Länder sind von den steigenden Kosten für Grundnahrungsmittel wie Mehl betroffen. Knapp 20 % der Bevölkerung lebt dort unterhalb der Armutsgrenze – dieser Zustand droht sich nun weiterhin zu verschlechtern. Expert*innen der Vereinten Nationen warnen daher bereits vor einer Hungerkatastrophe. Aber nicht nur Mehl, sondern auch Sonnenblumenöl ist eines der meist exportierten Produkte aus der Ukraine – und auch diese Ware wird knapp und die Preise steigen.

Da auch schon seit dem vergangenen Jahr die Düngemittel, die Ostafrika hauptsächlich aus Russland bezieht, fast doppelt so teuer geworden sind, wird eine ertragreiche Ernte – zusätzlich durch eine herrschende Dürre – immer schwieriger. Das ZDF hat diese Thematik in einem Beitrag mit mehreren Videobeiträgen zusammengestellt. HIER geht es zu dem Artikel. Wie viel Getreide braucht die Welt? Für weitere Informationen zu diesem Thema gibt es vom Fachmagazin Agrarheute. HIER eine ausführliche Berichterstattung.

3. Politische Antworten

Wie äußern sich europäische Entscheidungsträger*innen zu den derzeitigen Entwicklungen?

Im Hintergrund der Geschehnisse tobt in der EU eine regelrechte Lobbyschlacht über die Farm2Fork-Strategie, in der es darum geht, den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln deutlich zu reduzieren und bis 2030 25 % der Anbauflächen in der EU ökologisch zu bewirtschaften. Mehrere große Pestizid- und Düngemittelkonzerne bekämpfen dieses Vorhaben und versuchen den Krieg nun als Anlass zu nutzen, diese Regulationen aufzuschieben oder gar zu verhindern.

Auch die FDP-Fraktion im Bundestag fordert in einem Positionspapier eine Neubewertung und -Ausrichtung der EU-Agrarpolitik. Neben Biodiversitätsschutz und der Stärkung des ländlichen Raumes, soll besonders Ernährungssicherheit fester Bestandteil der EU-Agrarpolitik werden. Der Agrarsektor soll durch eine langfristige Strategie – auch im Blick auf Nahrungsmittelversorgung und Lieferketten – resilienter werden. Problematisch ist die Forderung einer „ökologischen Intensivierung“, die vor allem durch neue Gentechniken (CRISPR/ CAS) und neue Pflanzenschutzmittel erreicht werden soll. Die Ausweitung von Ökolandbau und eine pauschale Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln, seien – lauf FDP – der „falsche Weg“. Auch auf sogenannte Stilllegungen (von ca. 4% der Flächen bei Großbetrieben) solle verzichtet und diese ökologischen Vorzugsflächen wieder in Betrieb genommen werden. (Diese Wiederaufnahme der Bewirtschaftung ergäbe jedoch gerade mal 0,1% der Weltgetreideproduktion – Luckmann et. Al, 2022). Um verbesserte Wirkstoffe zur Anwendung zu bringen, solle es einen „innovationsfreundlichen Rahmen auf EU- und nationaler Ebene“ geben.

Das macht deutlich, dass ein Roll-Back des jahrelang mühsam erkämpften EU Green Deal droht. Auch viele berufsständische Verbände unterstützen die Forderungen nach Lockerungen der EU- Agrarpolitik.

Dagegen fordert Renate Künast (MdB), Bundestagssprecherin für Ernährung und Landwirtschaft der Fraktion Bündnis 90/die Grünen, „alte und gescheiterte Konzepte“ nicht zur Lösungsfindung heranzuziehen. Gemeinsam mit Martin Häusling (MdEP), agrarpolitischer Sprecher der Fraktion die Grünen/EFA im Europäischen Parlament, hat sie ein Factsheet zum Ukraine-Krieg und der damit einhergehenden Versorgungssituation erstellt. Darin werden neben Akuthilfe zur Sicherung der Lebensmittelversorgung und globalen Ernährungssicherung die Vermeidung von Ernte- und Lieferausfällen gefordert. Der Artikel umfasst ausführliche Informationen zum landwirtschaftlichen Produktionsanteil der Ukraine und Russlands am Weltmarkt und den damit zusammenhängen Auswirkungen auf die EU und weltweit. Es wird aufgezeigt, dass nachhaltige Lösungsansätze wie das Konzept der Ernährungssouveranität als Ziele priorisiert werden müssen. HIER geht es zu dem Factsheet.

4. Ein Aufruf zur Transformation des Ernährungssystems

Im Sinne einer nachhaltigen Lösungsfindung haben 200 Wissenschaftler*innen einen Aufruf veröffentlicht. Als Konsequenz aus dem Ukrainekrieg fordern sie, die Transformation unseres Ernährungssystems zu beschleunigen, anstatt in einen Rollback einzusteigen.

„Die Ukraine-Krise führt uns vor Augen, dass die Art und Weise, wie wir derzeit Nahrungsmittel produzieren und konsumieren, weder nachhaltig noch gerecht ist. Als Reaktion darauf sollten wir die Transformation hin zu einem gesunden, gerechten und umweltfreundlichen Ernährungssystem beschleunigen, statt sie auszubremsen. Wir benötigen umfassende Lösungsansätze, die kurzfristig die Lage entspannen und gleichzeitig die existenzielle Bedrohung abwenden, welche unser Ernährungssystem für die Gesundheit von Mensch und Planet darstellt.“

HIER geht es zum vollständigen Aufruf.

Mitstreiter*innen gesucht!

Über notwendige Veränderungen reden kann jeder. Mitmachen auch! Darum befindet sich der Ernährungsrat Freiburg & Region aktiv auf Mitgliedersuche. Wir möchten alle einladen, denen die Ernährungswende für Freiburg und die Region genau so am Herzen liegt wie uns.

Mit den Mitgliedsbeiträgen können wir weiterhin Strukturen schaffen, um die Koordination unserer vielen Ideen und Projekte nachhaltig zu besetzen, aktiv Ideen in die Realität umzusetzen, Veranstaltungen zu planen und die Ernährungswende mitzugestalten. Jedes Mitglied hat Mitspracherecht, kann sich aktiv beteiligen, oder einfach nur Mitglied sein. Für 30 € im Jahr. Das Beitrittsformular finden Sie hier auf der Webseite.

Die Themenkreise treffen sich wieder regelmäßig monatlich und freuen sich über Menschen, die in aktuellen Projekten mitarbeiten wollen oder neue Ideen mitbringen. Du möchtest dich einbringen oder hast ein interessantes Kooperationsprojekt? Dann komm einfach zu einem der nächsten Treffen oder melde dich bei info@ernaehrungsrat-freiburg.de

1. TK Stadt-Land-Ökologie: Kontakt: felix.krause@ernaehrungsrat-freiburg.de

2. TK Essbare Stadt: Kontakt: essbare-stadt@ernaehrungsrat-freiburg.de

3. TK Regionale Außer-Haus-Verpflegung: Kontakt: info@ernaehrungsrat-freiburg.de

4. TK Gesundheit: Kontakt: lea_bartels@posteo.de

Die aktuellen Termine findest du immer auf der Webseite unter Termine. Mehr Infos zu den Themenkreisen gibt es außerdem hier.